Ist SAP bereit für Industrie 4.0?
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Wenn es um die Unterstützung von Geschäftsprozessen in der kaufmännischen Welt geht, dann setzt SAP seit Jahrzehnten Standards. Mit der Welt der Produktion konnte der Konzern dagegen lange Zeit nicht richtig etwas anfangen, es gab kaum spezifische Anwendungen.
Seit knapp zehn Jahren ist SAP dabei, das zu ändern. So haben die Walldorfer mit SAP Manufacturing Execution (SAP ME) ein vollwertiges ME-System im Portfolio, das die typischen Produktions-IT-Aufgaben übernimmt – also etwa die Maschinen- und Betriebsdatenerfassung.
Und die Plattform SAP Manufacturing Integration and Intelligence (SAP MII) sorgt für den Datenaustausch zwischen Shopfloor und Systemlandschaft. Für die etablierten spezialisierten MES-Anbieter ist SAP mit diesem Angebot zu einem ernst zu nehmenden Mitbewerber geworden.
Viele SAP-Anwender überlegen heute zweimal, ob ein Best-of-Breed-Ansatz wirklich sinnvoller ist, als im SAP-Standard zu bleiben. Dass sich SAP in den vergangenen Jahren intensiver mit der Produktion beschäftigt hat, scheint mit Blick auf die Debatte um Industrie 4.0 – oder Industrial Internet – eine notwendige und für den Konzern günstige Entwicklung zu sein.
Denn in Zukunft werden die Unternehmen einen Großteil ihrer Konzentration und ihres Budgets darauf verwenden, die industriellen Abläufe zu digitalisieren. Schließlich liegt hier ein immenses Potenzial. Die aktuellen Angebote von SAP sind aber – ebenso wie die Systeme der etablierten MES-Anbieter – nicht für den Schritt in das neue Industriezeitalter geeignet.
Der Grund: Diese Produktions-IT-Lösungen sind Relikte einer Epoche, in der Zentralisierung das Paradigma war. Sie liegen als monolithische Blöcke auf ihren eigenen Servern. Und sie haben ihren fest zugewiesenen Platz in der Automatisierungspyramide zwischen ERP oben und SCADA, SPS und Maschinen unten. Dieses starre Prinzip setzt enge Grenzen, es fehlt die erforderliche Flexibilität.
So ist es häufig problematisch, wirklich alle Daten zu sammeln, zu konsolidieren und unternehmensweit zur Verfügung zu stellen – was aber beispielsweise für die Rückverfolgbarkeit oder die Analyse von Produktionskennzahlen extrem wichtig ist. Zudem lassen sich neue Funktionen nur mit Mühe hinzufügen und ausrollen, die Integration neuer Maschinen, Anlagen oder gar Werke ist mit einem hohen Aufwand und damit mit hohen Kosten verbunden.
Vollständige Vernetzung
All das passt nicht in eine Zeit, in der Dezentralisierung das neue Paradigma ist. Zu einer Zeit, in der aus der Automatisierungspyramide ein Automatisierungsnetzwerk werden soll, in dem die unterschiedlichen MES-Funktionen – oder besser: alle produktionsnahen Funktionen – an unterschiedlichen Netzwerkpunkten erledigt werden.
Für die Unternehmen sollen damit End-to-End-Services entstehen, die komplette Prozesse abbilden und je nach Bedarf zügig aufgesetzt, erweitert oder angepasst werden können – auch hier ist die Rückverfolgbarkeit ein gutes Beispiel.
Erreicht werden soll das durch die vollständige Vernetzung: von den Maschinen und Anlagen bis in die Cloud. Denn wenn alles mit allem kommunizieren kann, sind starre, hierarchische Strukturen überflüssig. Eine solche umfassende Vernetzung setzt zum einen ein hohes Maß an Offenheit voraus – auch und vor allem in Bezug auf die Software.
Denn ohne diese Offenheit endet der Austausch von Daten schnell an der eigenen Systemgrenze. Zum anderen sind agile Softwarebausteine gefragt. Und Agilität bedeutet in diesem Zusammenhang zum Beispiel: Die Software muss sich problemlos und ohne großen Aufwand auf bestehenden Infrastrukturkomponenten installieren lassen, um aus ihnen vernetzbare „Smart Devices“ zu machen. Dementsprechend sind eher kleine, modulare, anpassungsfähige Einheiten gefragt. Große, performante Anwendungen bekommen hier Schwierigkeiten.
Was für die Software selbst gilt, gilt auch für die damit verbundenen Geschäftsmodelle der Anbieter. Echte und in alle Richtungen skalierbare Pay-per-Use-Modelle passen deutlich besser in das vernetzte Zeitalter als Lizenzverträge mit einer langen Laufzeit, die auch noch nicht benötigte Funktionen beinhalten. Das Umdenken hat bei SAP und anderen etablierten Anbietern gerade erst begonnen.
Droht SAP mit der vierten Revolution also unterzugehen? Das mit Sicherheit nicht. Denn auch in einer vernetzten Infrastruktur haben große Systeme ihren Platz und ihre Berechtigung. Das gilt umso mehr, weil Industrie 4.0 eben nicht in der Werkhalle aufhört, sondern auch die vor- und nachgelagerten kaufmännischen Prozesse einbezieht – und hier leistet SAP nach wie vor hervorragende Arbeit.
Fraglich ist aber, ob die Walldorfer ihre dominante Position halten können. Denn entweder kommen sie den Anforderungen der vernetzten Welt nach und setzen auf Offenheit und Agilität. Das ist mit Blick in die Zukunft sicher der richtige Weg.
Er macht es Anwendern aber auch leichter, sich hier und da gegen SAP zu entscheiden. Oder die Walldorfer bleiben bei ihrem jetzigen Kurs. In diesem Fall ist ein plausibles Szenario, dass sich das Spielfeld von SAP sukzessive verkleinert.
Smart Industry Apps
Mit den Smart Industry Apps hat Nemetris einen Ansatz entwickelt, der sich an den neuen Anforderungen orientiert. Die Python-basierten und plattformunabhängigen Anwendungen lassen sich in der vorhandenen verteilten Infrastruktur auf nahezu allen Komponenten installieren – von Maschinen und Anlagen über SAP-Systeme bis zur Cloud. Dabei übernehmen die einzelnen Apps zum einen typische MES- und Produktions-IT-Aufgaben. Sie sammeln, verarbeiten und visualisieren also Daten. Zum anderen vernetzen sie bislang isolierte Infrastrukturkomponenten, indem sie aus simpler Hardware bidirektional kommunikationsfähige Smart Devices machen. Seinen Kunden und Partnern stellt Nemetris zudem ein offenes Framework zur Verfügung. Die Apps können so individuell angepasst und erweitert werden, neue Anwendungen lassen sich auf dieser Basis entwickeln.