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Deutsche Unternehmen nachlässig bei Digitalisierung

Weil jeder nur sein eigenes Digitalisierungsprojekt sieht, mit dem er glänzen möchte, enden die meisten Initiativen in Silos. Deutsche Unternehmen laufen Gefahr, zu scheitern und ihren Wettbewerbsvorsprung zu verlieren.
1. März 2017
Lüenendonk
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Es wird in Deutschland immer sehr viel über die Rückständigkeit vieler Unternehmen bei der Digitalisierung gesprochen und geschrieben. Dagegen boomt doch die IT-Branche und die Umsätze der Technologieberater sind in den letzten zwei Jahren so stark gestiegen wie schon lange nicht mehr.

Auch die Kunden investieren – je nach Branche unterschiedlich – enorme Summen in die Digitalisierung ihrer Prozesse und in neue digitale Geschäftsmodelle.

Rechnet man die IT-Investitionen der Fachbereiche mit ein, haben sich die IT-Spendings in den letzten Jahren mehr als verdoppelt.

Schaut man aber genauer hin, enden die meisten Digitalisierungsinitiativen in Silos und werden zu selten miteinander und aufeinander abgestimmt. Gerade in Konzernen ist es typisch, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte macht.

Das liegt auch daran, dass es einerseits zu viele Digitalisierungsprojekte gibt, während andererseits die Geschwindigkeit der Fachbereiche auf starre Organisationsstrukturen und alte IT-Systeme trifft.

Hinzu kommt, dass die Fachbereiche zu selten miteinander arbeiten, häufig schon gar nicht mit der IT, und jeder nur sein eigenes Digitalisierungsprojekt sieht, mit dem er glänzen möchte. Diese Situation ist häufig aber auch bewusst so gewählt, damit sich im internen Wettbewerb die beste Idee durchsetzen kann.

Fakt ist, in vielen Unternehmen mangelt es nicht an guten Ideen und Strategien, wie bestehende Geschäftsmodelle, Produkte und Services in das digitale Zeitalter überführt werden können.

Was aber durchaus fehlt, sind klare Guidelines für ihre Umsetzung sowie ein hoher Grad an Agilität und Flexibilität in den Organisationsstrukturen und in der IT.

Wir als Verbraucher, egal ob B2C oder B2B, stellen dann häufig fest, dass das digitale Front End nicht mit allen Geschäftsprozessen verzahnt sein kann, wenn beispielsweise bei einer Bestellung keine Informationen über die Lieferzeit genannt werden können oder die Kundendaten immer neu eingegeben werden müssen.

Aus Sicht von Lünendonk werden hier zwei wesentliche Probleme vieler Unternehmen sichtbar, die dazu führen, dass die hohe Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen Gefahr läuft zu scheitern und sich der Wettbewerbsvorsprung immer weiter verkleinert.

Gerade in Zeiten des Protektionismus müssen wir endlich an Fahrt gewinnen, wenn es um Prozessverbesserungen, Effektivitätszuwächse und digitale Geschäftsmodelle mit hoher Usability geht.

Problem 1: Alt-IT

In der Vergangenheit wurde viel zu lange an Alt-Systemen festgehalten, anstatt die IT zu modernisieren und die Anwendungen und Datenbanken durch moderne Schnittstellen zu öffnen.

Das zunehmende Sourcing von Business-Anwendungen und IT-In­frastruktur aus der Cloud stößt daher oft gegen eine Mauer von nicht kompatiblen IT-Monolithen.

Allein dem CIO den Vorwurf zu machen wäre jedoch zu kurz gegriffen.

Einerseits haben sich viele CEOs und CFOs jahrelang gegen Investitionen in die notwendige IT-Modernisierung gewehrt. Zu teuer, wenig (kurzfristige) Amortisierung und andere Prioritäten sind typische Begründungen für verwehrtes Budget.

Andererseits haben sich aber auch viele IT-Leiter durch das Festhalten an Alt-Systemen eine Art Jobgarantie gegeben, denn wenn sich moderne Anwendungen und Infrastruktur­elemente aus der Cloud oder dem eigenen Rechenzentrum nahezu automatisiert betreiben lassen, braucht man dann die spezifischen Kompetenzen eines IT-Leiters, der vielleicht nur Mainframe oder SAP E/3 kann?

Allerdings haben die Vertriebs- und Marketingstrategien der Technologieanbieter, die ihren alten lizenzbasierten Besitzstand wahren möchten, natürlich auch einen gewissen Anteil an der Situation.

Wie dem auch sei, die Versäumnis, mit der Modernisierung der IT erst begonnen zu haben, als es darum ging, Digitalisierungsstrategien umzusetzen, stellt die betroffenen Unternehmen vor die Frage nach der Überlebensfähigkeit!

Kunden erwarten einen digitalen Service ohne Medienbrüche und mit hoher Benutzerfreundlichkeit.

Der Standard für die meisten Kunden sind etablierte Geschäftsmodelle mit einer voll digitalisierten Wertschöpfungskette, wie sie Amazon, Zalando, Adidas oder viele Online-Banken bieten.

Wer diese Usability nicht bietet, den bestraft der Kunde durch Nichtkauf oder Abwanderung zur Konkurrenz. Jedoch haben die Unternehmen dieses Problem erkannt und in den letzten Jahren durchaus Fortschritte gemacht.

Laut der aktuellen Lünendonk-Studie „Revival der Stammdaten“ gaben 57 Prozent der Unternehmen an, mit den bisher erzielten Fortschritten bei der IT-Modernisierung durchaus zufrieden zu sein.

Die 43 Prozent, die dem nicht zustimmen, haben allerdings entsprechend ein Problem.

Stammdaten ITReifegrad

Problem 2: Stammdatenqualität

Ein typisches Beispiel aus dem B2C-Bereich: Moderne Geschäftsmodelle wie die „kundenindividuelle Fertigung im Store“ oder „automatische Kundenerkennung im Store“ basieren überwiegend auf Stammdaten.

Sind die Kundendaten in den Back­end-Systemen veraltet oder lassen sich nicht in die neuen Anwendungen integrieren, sind Digitalisierungsstrategien zum Scheitern verurteilt.

Im B2B-Bereich verlängert mangelnde Stammdatenqualität sehr oft die Produkteinführungszyklen und erzeugt Probleme im Produktions- und Logistikprozess.

Obwohl die Unternehmen seit Jahren in Softwarelösungen zur Optimierung ihres Master-Data-Managements investieren, scheint der Erfolg auszubleiben.

Laut der aktuellen Lünendonk-Studie „Revival der Stammdaten“ sehen sich nur etwa 15 Prozent der untersuchten Unternehmen im Stammdatenmanagement sehr gut aufgestellt.

Dagegen sehen sie sich bei der Entwicklung datenbasierter Geschäftsmodelle bereits deutlich besser positioniert, was aus unserer Sicht allerdings auf einen krassen Widerspruch hindeutet. Denn auf Daten basierende Geschäftsmodelle können nur so gut sein wie die Daten selbst.

So können Unternehmen durch hohe Stammdaten-Qualität in der Fertigung das gebundene Kapital reduzieren, indem Wiederbeschaffungszeiten angepasst sowie Losgrößen, Mindestbestellmengen und Lieferantenbeziehungen optimiert werden.

Auch geringerer Aufwand in der Umsetzung geplanter Produktionssequenzen und die zuverlässige Einhaltung individuell gewünschter Termine können realisiert werden.

Hohe Stammdaten-Qualität wird aber besonders für die Losgröße 1 zum kritischen Faktor. Auch Kundenbeziehungen können einheitlich abgebildet werden, sofern Kundendaten, die aus neuen Vertriebskanälen und Onlineaktivitäten (Apps, Shops etc.) stammen, mit den ERP-Systemen des Unternehmens sowie den bisherigen Kanälen – idealerweise automatisch – verknüpft werden.

Wenn neue Stammdaten direkt in Geschäftsanwendungen eingespeist werden und nicht in isolierten Datensilos verbleiben, ist auch eine Analytik in Echtzeit möglich.

Woran liegt es aber, dass die Unternehmen bei ihren Stammdaten nicht so richtig vorankommen?

Der häufigste Grund für schlechte Stammdaten ist die mangelnde Einbettung des Stammdatenmanagements in die Unternehmensstrategie. Das Pro­blem mit den Stammdaten wird folglich zu oft an die IT geschoben, die sich der Stammdatenverwaltung vom technologischen Aspekt her annimmt und in entsprechende Technologien und Prozessoptimierungen investiert.

Die eigentlichen Kernprobleme bleiben aber bestehen, vor allem, weil die Organisationsprozesse nicht nachgezogen werden. Denn nur in jedem zweiten Unternehmen sind Standards und Vorgaben zur Stammdatenverwaltung in den operativen Arbeitsabläufen integriert.

Gleichzeitig ist der Aufwand für die Stammdatenpflege enorm hoch und damit die Akzeptanz und Motivation bei den Mitarbeitern entsprechend gering. Denn in 62 Prozent der Unternehmen werden die Stammdaten noch manuell erfasst, obwohl es moderne Technologien am Markt gibt, die eine automatisierte Datenpflege möglich machen.

Weitere Gründe sind ebenfalls in der Unternehmensorganisation zu finden. So identifiziert die Lünendonk-Studie „Revival der Stammdaten“ fehlende klare Verantwortlichkeiten für die Stammdatenpflege sowie Schwachstellen in der Data Governance.

Nur jedes zweite Unternehmen gab in der Studie an, überhaupt eine Data-Governance-Strategie zu haben. In solchen Unternehmen sind redundante Systeme typisch, in denen oft die gleichen Stammdaten, also Dubletten, nur auf einem unterschiedlichen Stand, vorgehalten sind.

Fazit

Innovationen und moderne Geschäftsmodelle sind nur dann erfolgreich, wenn die unterstützende IT-Landschaft einen hohen digitalen Reifegrad hat.

Daher ist es wichtig, die digitale Transformation zunächst auf der Ebene der IT-Prozesse anzugehen und diese radikal zu modernisieren. Dazu gehören schnittstellenoffene Anwendungen, die Cloudfähigkeit im IT-Sourcing und eine konsistente und stets aktuelle Datenbasis.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, haben digitale Strategien eine Chance auf Erfolg!

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