CIOs in der Zeitfalle

Aus Sicht von Lünendonk lässt sich der Begriff „Digitalisierung“ in drei Streams teilen.
Erstens: die Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Dazu gehören Themen wie Automatisierung, Abbau von Schnittstellenbrüchen zwischen IT-Systemen und Anwendungen durch Vernetzung sowie die Nutzung von modernen Technologien zur internen und externen Kommunikation
Zweitens: die Digitalisierung der Vermarktungskanäle. Aufbau von Frontends (Webshops, Apps etc.)zur Kundenkommunikation und -bindung und Vernetzung der Frontends mit dem IT-Backend, um eine ganzheitliche Sicht auf einen Kundenvorgang zu erhalten.
Drittens: die Digitalisierung der Geschäftsmodelle. Entwicklung neuer Produkte und Services, die digitale Komponenten enthalten oder komplett aus digitalen Elementen bestehen.
Dazu gehört auch die Analyse der neuen Customer Journey, also das Verhalten des Kunden beim Kauf beziehungsweise Nutzung von Produkten und Services.
Unternehmen haben in diesen drei Ebenen bisher unterschiedliche Reifegrade erreicht beziehungsweise setzen ihre Prioritäten jeweils anders. Das unterschiedliche Vorgehen hängt natürlich auch damit zusammen, ob die Unternehmen im B2B- oder B2C-Umfeld tätig sind.
So haben B2C-orientierte Unternehmen in der Regel weniger Zeit, auf digitale Trends zu reagieren, da ihre Kunden mittlerweile ein gewisses digitales Erlebnis gewohnt sind und entsprechend an neue digitale Geschäftsmodelle sehr hohe Ansprüche stellen.
Die Kunden fordern vor allem: durchgängige Prozesse ohne Medienbrüche, aktuelle Informationen zu Bestellungen, Verfügbarkeiten, Aktionen/Preisen etc. und eine hohe Customer Experience, also optisch ansprechende und auf das Kundenverhalten ausgerichtete Frontends.
Da diese Anforderungen derzeit vor allem für B2B-Unternehmen von dringender Priorität sind, müssen B2C-Unternehmen alle drei Streams möglichst gleichzeitig angehen, es sei denn, sie haben den Vorteil, bereits vor Jahren ihre IT modernisiert zu haben.
Jedoch hatten diese Weitsicht nur sehr wenige Unternehmensentscheider. Denn solange die IT irgendwie stabil lief, so die Wahrnehmung, amortisieren sich Investitionen in die IT-Modernisierung auch nicht. Ein Trugschluss, wie wir heute wissen.
B2B: geringer Digitalisierungsdruck
Natürlich stellen B2B-Unternehmen auch hohe Anforderungen während des Kaufprozesses bzw. während der Kundenbeziehung. Allerdings ist der Druck zur Digitalisierung der Geschäftsmodelle respektive der Kunden-Frontends etwas geringer.
Dagegen müssen B2B-Unternehmen aber umso mehr Gas bei der Digitalisierung und Modernisierung der Geschäftsprozesse geben. Blickt man auf die jeweiligen Marktführer der einzelnen Industriebranchen, so ist die IT bereits auf einem sehr modernen Stand.
Die hohe Durchdringung von Cloud als Sourcingmodell für Infrastruktur und Applikationen verdeutlicht dies. Kaum ein Konzern, der nicht eine Private-Cloud-Umgebung aufgebaut hat und bestimmte Komponenten seiner IT-Leistung aus der Public-Cloud heraus bezieht.
Auf Salesforce, Microsoft Azure, AWS und zunehmend SAP Hana entfallen immer größere Teile der IT-Wertschöpfung.
Digitale Themen wie kundenindividuelle Fertigung (3D), digitale Vertriebskanäle oder die automatisierte und datenbasierte Steuerung der Supply Chain können auf der technologischen Basis eines modernen IT-Backends erfolgversprechend angegangen werden.
Die „Follower“, also der Mittelstand, beschäftigen sich ebenfalls mit diesen Themen und kommen bei der Modernisierung ihrer IT auch voran.
Dabei geht es natürlich in erster Linie um „Quick Wins“, also die Erreichung einer Operational Excellence. CIOs im gehobenen Mittelstand setzen derzeit vor allem Effizienzprojekte um, die das Ziel haben, zunächst dezentrale IT-Strukturen aufzulösen und die unterschiedlichen IT-Systeme zu harmonisieren und zu konsolidieren.
In diesem Zuge werden klassische Hardware-Rechenzentren aufgelöst und ein Teil der Anwendungen in die Cloud geschoben. Microsoft 365 ist hier ein großes Thema.
Ein weiterer Baustein für Operational Excellence ist die Automatisierung der Arbeitsschritte und die Minimierung manueller Tätigkeiten in den Geschäftsprozessen. Vor allem aber geht es häufig um die Digitalisierung der Schnittstellen der IT-einzelnen Systeme, also deren Integrationsfähigkeit mit anderen (internen und externen) Anwendungen.
Für eine erfolgreiche digitale Transformation ist eine Digitalstrategie, die für das gesamte Unternehmen entwickelt und auf Teilbereiche heruntergebrochen wird, essenziell. Hinzu kommen eigene Innovationen oder Innovationen, die in einem Partner-Ökosystem entwickelt werden.
Wenn die Unternehmen es dann schaffen, die Innovationen erfolgreich zu vermarkten, wird die digitale Transformation zur Erfolgsstory. Laut der aktuellen Lünendonk-Studie „Wie digitalisieren Sie Ihr Business“ fällt jedoch auf, dass sich die Unternehmen nur in einzelnen Elementen und Entwicklungsfragen leicht positiv aufgestellt sehen.
Vor allem die Entwicklung von digitalen Innovationen scheint ihnen gut zu gelingen, ebenso wie die Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen.
Vermarktungsschwäche
Geht es aber um die Umsetzung solcher Ideen und Strategien sowie um die Vermarktung der Innovationen, sehen sich die Unternehmen deutlich schwächer aufgestellt. 53 Prozent sehen sich bei der Vermarktung von digitalen Innovationen schlecht aufgestellt, was zum Teil auch an der Qualität der eigenen IT-Systeme liegt.
Denn wenn neue Frontends oder Vertriebskanäle nicht mit den bestehenden Unternehmensprozessen verbunden werden, leidet die Kundenakzeptanz von eigentlich guten Innovationen.
Auch bei der wichtigen Aufgabe der „Suche und Pflege von Partnern zur Innovationsförderung (Start-ups, Technologieunternehmen und branchenfremde Unternehmen)“ weisen die Unternehmen nach eigener Einschätzung Defizite auf.
Einige Unternehmen machen dabei eine zu geringe Geschwindigkeit in der Entwicklung und Vermarktung von digitalen Geschäftsmodellen als Behinderungsfaktor aus, wobei die Schwächen eher in der Operationalisierung von Digitalisierungsstrategien und Innovationskonzepten sowie der Vermarktung zu finden sind.
Fazit
Die Einschätzung, gut bei der Entwicklung, aber schwach bei der Vermarktung zu sein, spiegelt eine Tendenz wider, dass Deutschland auf internationaler Ebene bei der digitalen Wirtschaft keine führende Rolle einnimmt.
Allerdings sind die Unternehmen gut beraten, die Geschwindigkeit ihrer digitalen Transformation zu erhöhen. Egal welches Geschäftsmodell oder welche Branche, weltweit entstehen derzeit so viele neue Ideen, bisherige Geschäftsmodelle mithilfe von digitalen Technologien anders, einfacher und kundenfreundlicher zu gestalten, dass kein Unternehmenslenker sich gewiss sein sollte, dass ihn die Digitalisierung nicht trifft.
Vom CIO beziehungsweise den IT-Leitern benötigen Vorstände, Geschäftsführer und Business-Verantwortliche vor allem eine Orientierung bei der Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie, stabile IT-Prozesse bei gleichzeitiger Modernisierung der IT-Landschaft sowie Kompetenz bei der Auswahl neuer Technologien zur Erweiterung/Neuaufstellung des Business-Modells.
Hierzu zählen beispielsweise Microsoft Azure, Salesforce und Hana, auf deren Basis sich digitale Geschäftsmodelle entwickeln und vermarkten lassen.